marc mer
das schönste an meinem bau aber ist seine stille. freilich, sie ist trügerisch. plötzlich einmal kann sie ...[1]
szenische rauminstallation
zellenhausgewölbe | ehemaliges gestapogefängnis | abtei brauweiler bei köln, 1999
durch ein geöffnetes lüftungsloch steigt das publikum in das kellergewölbe unter dem park. ein spiegelszenario, das die herabsteigenden empfängt, noch während sie auf der leiter sind, überhöht die beklemmende verfassung des raumes in vielfacher verzerrung und verwickelt seine betrachter in eine abgründige komplizenschaft. die abartigkeit von systemen, ob nun raum- oder gesellschaftspolitischer art, lauert unmittelbar unter der ohnehin recht dünnen oberfläche ihres stabilen scheins von der schönen ordnung.
gegenüber, weit im hintergrund, gut 50 meter entfernt, sitzt in gleißendem licht von oben ein nackter, kahlgeschorener mann und liest. kafkas sätze, die hart von wand, boden und decke widerhallen, erzeugen eine akustische steigerung des visuellen hintersinns der inszenierung, die so das selbstsüchtige im systematischen einer ordnung assoziieren lässt, die sich zum schutz vor aufdeckung, den ihr innerstes interesse am fortbestand verlangt, bedingungslos brutalisiert.
am arm gepackt, durch einen schmalen gang zur seite und noch einmal mehrere stufen tiefer geführt, erreicht der betrachter, vom übrigen publikum so getrennt, den hinteren, abgelegenen teil der installation. sein eigenes schattenbild sieht er da vor ihm zu den beiden schattenprojektionen sich gesellen, die es weiter hinten zu sehen gibt.
welchen abstand gewährt das betrachten? heißt betrachten das betrachtete gewähren lassen? und hieß es das schon immer?
in der einen kammer vorne scheint jemand suppe oder brei zu löffeln, hastig, mechanisch; in der anderen hinten wäscht sich eine person die hände, unablässig, zwanghaft [in unschuld?]. das abtropfende wasser ist zu hören und auch das schlürfen der person, die isst.
beides vermischt sich mit der aus den lautsprechern von woanders her, vom ort von zuvor her bis hierhin reichenden stimme, die aus kafkas „bau“[2] liest. die unablässig spricht: von der vehement sich steigernden paranoia eines tieres, das sich in seinem bau von überallher verfolgt wähnt. die, indem sie ebendavon spricht, zugleich unaufgeregt, nahezu monoton, wie mechanisch spricht. und immer weiter so. bis sich die sätze und die schatten im kopf des betrachters - zuschauer und zuhörer allerorts hier drinnen stets zugleich - auf beängstigende weise miteinander zu verbünden beginnen, um derart empfindungen von realer existentieller bedrohung auszulösen.
[marc mer]
[1] der titel zitiert einen satz aus franz kafkas erzählung „der bau“ aus dem jahr 1923/24
[2] aus der originalen fassung in franz kafka: die erzählungen und andere ausgewählte prosa, herausgegeben von roger hermes, frankfurt am main 1996
|