über mer

mer ist der meister des vielfältigen im minimalsten.
ulrike schuster

 

„die reduktion des visuellen befundes ist ein durchgängiges kennzeichen der arbeit marc mers. es kommt nicht darauf an, dass man viel sieht, sondern wenige bestimmte dinge.
ludwig seyfarth

 

eine von Funktionen geleitete Grammatik des Raums bleibt in Mers Installationen bei aller Klarheit in der Verwendung von Formen und Materialien aus. Eine eigentümliche Unterspülung durch gedankliche Strömungen prägt die klaren Formen.“
johannes stahl

 

die subtilität des werkes von marc mer zeigt sich in der differenzierung ambivalenter bedeutungen und relationen der gegenstände.“
heinz gappmayr

 

bedeutung zu erzeugen, hat mit cäsuren zu tun, mit vorschriften, mit unterschieden, die einen unterschied machen. bedeutung hat also auch mit unfällen zu tun, indem die kontrolle, die vorschrift niemals lückenlos gelingen kann. das motiv des zufalles, von kontrolle und abweichung, von sinn und unsinn, taucht in einigen arbeiten von marc mer schon im titel auf, wie etwa in ‚‘wittgensteinscherʼ sockel. schachteltatsache / standbildes fallʻ“.
reinhard braun

 

marc mers installationen beziehen sich auf diskurse, philosophische theorien, literarische texte. doch sie zwingen die betrachter nicht zu einer diskurskompetenz, sondern spielen mit der illusion, mit dem szenischen, und umkreisen die (abbildungs)logik von spiegel und bildschirm – grunderfahrungen, die jedem mitglied zumindest des westlichen kulturkreises geläufig sind, einer kultur des bildschirms, des apparats, der schachtel.
ludwig seyfarth

 

marc mers arbeitsmaterialien folgen dem prinzip möglichst schlüssiger verwendung. kein material will etwas anderes sein, als es ist – der spiegel ist ein spiegel, die folie eine folie und damit ein schlechter spiegel, der kopierer bleibt kopierer und das foto ein foto – ein schwarzweißes sogar. aber eigentümlicher weise ist jedes dieser materialien ein vehikel der reproduktion. auch die reihe der würfelfälle abbildenden fotos bildet eine folge möglicher oder wirklicher reproduktionen eines eintreten könnenden ereignisses. der aspekt von raum und material ordnet sich der wirkungsvollen inszenierung von ereignissen und wahrnehmung unter.
johannes stahl

 

„Bei scene / obsceneʻ sind es gewöhnliche Schachteln aus Karton mit Spiegeln als Boden, die der Künstler auf einem verspiegelten Untergrund im Ausstellungsraum platziert; in taschentaten – trickbilder: museum/moment/monumentʻ sind es auf Glasplatten abgestellte Aktentaschen, auf deren Deckelinnenseiten Spiegel montiert sind. Im geschlossenen Zustand sind sie in den Durchgängen zwischen den jeweiligen Räumen der Schausammlung zu Gotik und Romanik und im geöffneten Zustand in den betreffenden Räumen selbst, jeweils auf Glasplatten, abgestellt. Hier wie dort hat das Material eine große Bedeutung: Der Karton als Verpackungsmaterial ist mit der Konsum- und Warenwelt verbunden. Zur Schachtel geformt, bildet er einen (architektonischen) Raum. Mit einem Bodenspiegel versehen, ist er ein Guckkasten – und die Guckkästen unserer Zeit sind Bildschirme. Aktentaschen hingegen suggerieren einen sowohl in geistiger als auch materieller Hinsicht wertvollen und bedeutenden Inhalt. In den Durchgängen platziert, scheinen sie wie mitten drin stehen gelassen und zum Mitnehmen gedacht; im geöffneten Zustand spiegelt sich der umliegende Raum – und damit auch dessen Inhalt – wider: ‚Das Mitnehmen der Welt in der Tasche in Form von Abbildungen und Aufzeichnungen geht zum Mitnehmen der Welt im Schritt in Form von Vermessungen des Raums und Ausdehnungen des Selbst konform.ʻ (Marc Mer)“
günther dankl

 

mit seinem ‚raum für canettiʻ ruft marc mer [...] dialektische aspekte in erinnerung. die macht, die in den (mittlerweile elektronisch operierenden) medien dank der konzentration von informationen präsent ist, trennt diese – heute wie damals – von der unverhältnismäßig großen mehrheit der »empfänger«. deren symbolisierung durch briketts ist nicht frei von einer eigenen zwiespältigkeit, denn einerseits handelt es sich dabei um eine fossile substanz, die unter druck entsteht, andererseits repräsentiert sie gespeicherte energie; und ihre brennbarkeit mag sehr wohl ins soziale übersetzt werden.“
uli bohnen

 

„War es nicht Elias Canetti, der in ‚Masse und Machtʻ eine eigentümliche Gleichsetzung von Wüste und Gefängnis vorgenommen hatte? Die Frage, wie weit die Begrenzung von Freiheit gesteckt ist, hängt dabei entscheidend gar nicht von den Ausmaßen des Bewegungsraumes ab, sondern von seiner Beschaffenheit, von den relativen Möglichkeiten, die er seinem Insassen einräumt. Eine so grundsätzliche wie offene These kann nur zu gut ein immer wiederkehrender Bezugspunkt für philosophische Raumfragen sein.
Marc Mers ‚raum für canettiʻ greift sie in mehrfacher Hinsicht auf. Der Einsatz materieller Metaphern entspricht Canettis bildreicher Philosophie ebenso wie die klare, etwas bühnenhafte Räumlichkeit. Ein kleiner Weltempfänger, an der Wand platziert, macht schlagartig klar, was Spielräume sind: sie markieren immer auch Machtfragen. Eine materielle Masse von Briketts am Boden führt diese These weiter. Die sedimentativ abgelagerte und verdichtete Zeit und ein damit verbundenes Energiepotential bilden ebenso Maßstäbe für Macht. Eine eigentümliche Hommage an Canetti schafft die inhaltliche Seite von Mers Arbeit: Die zunächst nur einmal symbolisch scheinende Disposition funktioniert übergreifend. Die Masse der am Boden liegenden (und ihn letztlich bildenden) Briketts stehen mit ihrer massiven Statik und der gespeicherten Energie gegen den Energie verbrauchenden Impulsgeber an der Wand. »Weltempfänger« heißt das Gerät irreführenderweise, weil man es landläufig als Verbindungselement zur gesamten Welt sieht. Funktional genommen sendet es an seinen Besitzer jedoch Botschaften nicht der Welt, sondern ausgesuchter Sendeanstalten, die nicht selten recht genau festgelegte Standpunkte haben. Wenn man sie in der von Mer gestalteten Anordnung sieht, bilden solche Elemente ‚Kristalleʻ, wie Canetti sagen würde. Und dann fragt sich, warum die Masse der Briketts auf dem Boden noch nicht zu Diamanten geworden ist oder ob die zu Informationsträgern degradierten Mikrostrukturen der Mattscheibe es schon nicht mehr sind.“
johannes stahl

 

die verhinderung des blicks, der wahrnehmung, wie sie immer wieder in den arbeiten von marc mer aufscheint, ist ein kommentar zur immer vollständigeren mediatisierung des sichtbaren, das damit gerade nicht mehr zur ordnung der wirklichkeit gehört, sondern seit der erfindung der fotografie zunehmend zu einer ordnung der (medialen) reproduktion und re-konstruktion.“
reinhard braun

 

„schon paul cézanne hat sich zu seiner zeit darüber beklagt, daß ‚alles verschwindetʻ und zugleich dazu aufgefordert, daß ‚man sich beeilen [muß], wenn man noch etwas sehen willʻ. cézanne mag diesen ausspruch hinsichtlich der impressionistischen wahrnehmung des augenblicks und der wissenschaftlichen änderungen und neuerungen der zeit des ausgehenden 19. und 20.jahrhunderts getätigt haben. auch marc mer, der sich mit seiner installation [‚zeittische / timetablesʻ] an der schwelle zwischen symbolischer und postsymbolischer kommunikation bewegt, weist letztlich mit dieser arbeit auf die gefahr des verlustes der zeitlichkeit und insbesondere des verschwindens und eintauchens des bildes, das heißt der wirklichkeit, in eine beliebige reproduzierbarkeit hin. zugleich macht er aber auch bewußt, daß zeit – und damit auch wahrnehmung – einzig und allein im durchschnitt zwischen der realität und der virtualität, das heißt der veränderung der kategorien von raum und zeit durch die medien erfolgen kann.“
günther dankl

 

„in [marc mers] Installationen spielt [...] der Boden, das, was auf ihm liegt, und letztlich der Boden als Abbild eines möglicherweise verschüttet darunter Liegenden immer wieder eine Rolle. Das beseelte Material Kohle in der Installation für Canetti, die rätselhafte Projektionsfläche im Raum für Bakunin oder das Spiegelparkett in ‚scene / obsceneʻ: der Boden geht regelmäßig über die materielle Erdung hinaus.“
johannes stahl

 

„die installation ‚relativer raumʻ von marc mer zeugt gleichermaßen von formaler bescheidenheit wie von inhaltlicher anspruchsfülle. man beachte die kleinen abmessungen der verarbeiteten bestandteile! wäre schon von dieser materiellen seite her eine interpretation möglich, die aller wissenschaftlich-technischen und transzendentalen großmannssucht zuwiderläuft, so wird diese feststellung aufs nachdrücklichste durch die einsicht unterstrichen, auf die der künstler sich thematisch bezieht. wenn nämlich raum und zeit sich gegenseitig relativieren, kann von gleichzeitigkeit im sinn der uhrzeit strenggenommen nur noch am ort der uhr selbst, nicht mehr jedoch global oder gar in kosmischem ausmaß, die rede sein. auf die ‚relativität des raumsʻ wird also konsequenterweise (und nicht ohne einen anflug von humor) auch dadurch hingewiesen, daß die installation lediglich einen relativ kleinen raum beansprucht.
ein seinem bezugssystem entfremdeter, ‚leerlaufenderʻ sekundenzeiger sowie das zugehörige (elektronisch verstärkte) rhythmische ticken – industrielle relikte also, mit denen marc mer operiert – weisen aus dem jetzt hinaus auf präindustrielle daseinsverhältnisse, in denen zeit nicht der natur aufoktroyiert sondern, als rhythmus nämlich, mit ihr zusammen erfahren wurde.“
uli bohnen

 

„marc mer präsentiert [mit ‚paralogoʻ] eine anamorphotische situation: es ist nicht der direkte blick auf das objekt, den apparat, der seinen sinn zu entschlüsseln in der lage ist, sondern es ist der blick von der seite her, es ist der auf die seite gelenkte blick, weg von den zentren der bedeutungsfelder, der jetzt den sinn, und dieser ist: die paralogie, freilegt. es geht um diese verschiebung der aufmerksamkeit, um ein entsetzen der kontinuität von (apparativer) erscheinung und wahrnehmung, einer wahrnehmung, die, auf das zentrum der erscheinungen gerichtet, lediglich apparative effekte erkennt, ‚die, richtig gesehen [und das heißt jetzt in einer verkehrung: von der seite her], nichts als schatten dessen sind, was nicht ist.ʻ*“
reinhard braun
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* william shakespeare: könig richard ii., stuttgart 1976. zitiert nach slavoj žižek: mehr genießen. lacan in der populärkultur, wien 1992.

 

„beginnend mit dem augenblick, das heißt mit dem blick in den spiegel, der direktes schauen und spiegelung des eigenen selbst zugleich ist, führt marc mer den betrachter nicht nur örtlich durch mehrere räume des wittgenstein-hauses, sondern zugleich auch durch verschieden definierte zeiträume. dabei mag die zeitung als ausdruck des aktuellen tagesgeschehens, aber auch für die unterschiedlichen medien, oder die enzyklopädie als erfahrung von zeit in form von geschichte und wissen und so weiter stehen. der vierte tisch, der tv-foto-kopierer empfängt den besucher. er bildet sowohl zeitlich als auch räumlich den punktuellen ausgangs- und endpunkt der installation. ähnlich wie zuvor der betrachter auf die ,zeittischeʻ, blickt in dieser skulptur nunmehr gleichsam der bildschirm des monitors auf das auge des kopierapparates. wenngleich auch der monitor in betrieb ist, reproduziert der kopierapparat jedoch nicht das aktuelle monitorbild, jenes ,kleine welt-bild und chiffre des informationszeitaltersʻ (wolfgang preikschat), sondern ein verdecktes, das heißt: er liefert damit anhäufungen von leeren, weißen kopien. marc mer treibt damit die erfahrung von wirklichkeit ,im zeitalter ihrer technischen reproduzierbarkeitʻ [walter benjamin] auf eine ironische spitze. zugleich macht er aber auch bewußt, daß die erfahrungen von zeit – und damit auch von wirklichkeit – nicht über eine bedingungslose medialisierung und preisgabe an die medien erfolgen kann, sondern etwas ist, wovon wir uns selbst ein »bild« machen müssen.
günther dankl

 

Marcel Duchamp ist der einzige Künstler, den Mer wiederholt in das Beziehungsgefüge seiner Hommagen einbezieht. Das hat einerseits mit der besonderen Stellung zu tun, die Duchamp kunstgeschichtlich eingenommen hat. Sie markiert geradezu das Urbild einer intellektuell stark vernetzten Künstlerpersönlichkeit – und muss gerade auch wegen der Brückenschläge zwischen Theorie, Kunstproduktion, Vermittlung und Verweigerung eine immer wieder kehrende und viel befahrene Kreuzung im Gedankenverkehr Mers besetzen. Dass Mer nie einen Raum für Duchamp gemacht hat, liegt dennoch auf der Hand: schließlich hat Duchamp mit seinem ,Etant donnésʻ genau jenen Raum geschaffen, dessen Fehlen in der Raumflucht der Installationen Mers angesichts seiner wiederholten Beschäftigung mit Erotik gewiss schon aufgefallen ist. Bei aller Korrespondenz der gedanklichen Systeme ist naturgemäß auch die Einstellung zur künstlerischen Chiffre eine fast entgegengesetzte. Während Duchamp, getrieben von der symbollastigen Kunstproduktion seiner Zeit, mit der Überchiffrierung reagiert, setzt Mer Materialien und Geräte nicht nur als Medien ein, sondern bewusst auch als knappe Chiffren. Dabei vermeidet er jedoch den Weg in eine individuelle Mythologie ebenso wie eine eindimensionale Material- oder Maschinenästhetik.
johannes stahl

 

insofern [...] verschiedene[n] grammatiken von oberflächen, subjekten und räumen im spiel sind, handelt es sich bei den projekten von marc mer immer auch um theoretische arbeiten, die vielleicht sogar weniger bild-, material- oder raumkonstellationen präsentieren, als vielmehr hypothesen, kommentare, fragestellungen, vermutungen, zweifel – theoretisch angesetzte schnittflächen und schnittstellen durch wirklichkeitskonstruktionen und -konstrukte, hypothetische topografien, entwürfe von erzählungen, einer rede vielleicht. als »effekte« von medienerzählungen stellen diese konstrukte immer schon produkte verschlungener, kontingenter operationen dar – es hätte sich immer auch anders ereignen können, die diskurse hätten immer auch andere wendungen nehmen können. weil es sich bei wirklichkeitskonstruktionen um kontingente prozesse, um prozesse der kontingenz handelt, ist da immer schon ein spielraum zur de- und rekonstruktion, für eine neues »arrangement«, für einen neuen »stil«, für neue räume beziehungsweise besser: raumkonstruktionen als bedeutungskonstruktionen.“
reinhard braun

 

„marc mer verarbeitet seine collagierten Text-Aussagen digital. Er isoliert Bilder und Textpartikel aus Werbung, Zeitungen, diversen Drucken. Ihre filigrane Materialität setzt er ins Bild, verzerrt sie durch enorme Vergrößerung, betont gerissene Randzonen, zeigt die Faserung des Papiers, lässt die Rückseite  durchscheinen. Er konterkariert die Nichtigkeit des Materials durch aufwendige, technisch ausgefeilte, präzise Behandlung. Diese Textfragmente konfrontieren uns mit pointiert gesetzten [...] Wortspielen.
dagmar weste

 

im Spannungsverhältnis zwischen Ausdruck, inhalt und Form behandelt Marc Mer medial vermittelte Klischees als gesellschaftliche Gemeinplätze, ohne den Kontext der abstrahierten Themen außer Acht zu lassen. Durch die Wiederholung von Formkategorien ergibt sich eine Situation, in der sich der/die Ausstellungsbesucher/in als Teil des Geschehens innerhalb der Mediengeschichte identifiziert und in eine Endlosschleife aus Produktion und Reproduktion eingebettet ist. genauso wie das Medium gleichzeitig präsentiert und repräsentiert. in seiner ‚Philosophie des Raumesʻ beschreibt der Künstler dieses Phänomen mit der Formel: ‚gewordenes ist standbild, das ganz still steht, für werden im betrachtetwerden.ʻ“
franz thalmair

 

„eine eigenheit haben fast alle installationen von marc mer: sie sind gerichtet. dabei geht es keineswegs um die bereits seit jeher in der bildhauerei thematisierte schokoladenseite eines dreidimensionalen bildwerks. vielmehr scheinen eher bühnenhafte raumvorstellungen in diese ausrichtungen zu führen. dass das für die einrichtung eines raumes für die filme gordon matta-clarks eine sinnvolle maßnahme ist, wird keiner bestreiten. in anderen installationen jedoch taucht eine ähnliche ausrichtung auf die wand auf, und nicht selten ist sie im rücken des betrachters gedoppelt. der ursprüngliche vergleich zur bühne ändert sich dann: man sieht die Bühne nicht vor sich, sondern steht, selbst agens und objekt der betrachtung geworden, allansichtig mitten im bühnen-bild – und wird gewissermaßen seiner selbst eingedenk. dieser ungewisse und gleichzeitig bekannte vorgang, den marc mer mit worten wie ‚coitus by mere coincidenceʻ belegt, steht in einer reichen und doch kaum aufzuarbeitenden tradition, die eckpunkte in der assoziativen betrachterhaltung alain robbe-grillets haben könnte, mit einer patenschaft von jacques tatis ‚playtimeʻ oder der auflösung des musikalischen raums bei krzysztof penderecki, dessen musik möglicherweise nicht grundlos situationen in filmen begleitet, in denen eine ursprünglich gerichtete wahrnehmung allmählich entgleitet.“
johannes stahl

 

die antiken rhetoriker organisierten ihre reden anhand von imaginierten räumen und topografien. räume wurden also schon lange von bedeutungen markiert, zusammengesetzt, zusammengehalten. und aus diesem grund muß man nach den topografien fragen, nach der rede, die marc mer in projekten wie ‚local talks / ortsgesprächeʻ zu entwerfen trachtet, und darf die räume nicht als ästhetische organisationen in den blick nehmen, sondern als durch bedeutungen, lesevorgänge und interpretationsmuster kodierte und erzeugte. und sind es nicht vielleicht überhaupt die orte selbst, die hier miteinander sprechen?“
reinhard braun

 

„‚Diese Schriftstücke kommunizieren mit all dem, was das Erscheinungsbild der Orte ausmacht, in welche sie eingebracht sind. Visuelles und akustisches Spektrum der jeweiligen Lokalität sprechen gleichermaßen mit.ʻ (Marc Mer) Die ‚ortsgesprächeʻ schleichen sich im Habit von Verkehrsschildern in die Wahrnehmung der Passant/Inn/en und beginnen im wörtlichen Sinn zu kommunizieren. Der Bruch mit dem Erwarteten erzeugt Aufmerksamkeit und öffnet die Tür für Botschaften: ‚man muss sich wieder der unwirklichkeit bemächtigen; die wirklichkeit hat keinen sinn mehr!ʻ Der Text ist im vorliegenden Fall dem Mann ohne Eigenschaftenʻ von Robert Musil entnommen, worin der Autor ein unübertroffenes Stimmungsbild der Zeit unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges entwirft. Das gewählte Zitat bezieht sich auf den zentralen Konflikt des Romans zwischen Wissenschaft und Seele, der die Menschheit letztlich in die Katastrophe und damit in die rückhaltlose Entwürdigung führt. Im Sinne einer Selbstermächtigung kann es jedoch auch als Hinweis auf unsere eigene Verantwortung für die Erstellung einer würdevollen Wirklichkeit verstanden werden. Musils Satz verwendet Marc Mer ganz bewusst im Hinblick auf mögliche Lesarten wie diese.“
berthold ecker

 

die ordnungen von marc mer sind offensichtlich nicht dazu da, die welt zu ordnen, auch wenn sie zum weiterordnen auffordern. damit, daß sie in wahrheit aufforderungen zur ent-ordnung (um nicht wieder dekonstruktion zu sagen) sind, halten marc mers installationen in kunst-philosophisch-architektonischem understatement vornehm hinter dem berg.“
ludwig seyfarth

 

lesen wir die arbeiten von marc mer also als eine art eigenständiges, paralogisches koordinatensystem zur re-konstruktion von re-präsentation, als ein koordinatensystem, in dem sich die epidemie der kontingenz fortschreibt, fortgeschrieben wird, wenn auch jenseits und quasi parallel zu manchen medialen kontingenten Logiken: eine kopulation von sinn, eine kopulation von bedeutungen aufgrund bloßen zufalls? ‚die okkupation des raumes geschieht im schreiten über ebenen, im öffnen der beine, das also nicht erst zuletzt, sondern viel eher schon ganz zuerst von geschlechtlicher natur ist.ʻ (marc mer) durch ein feld der kontingenz (‚coitus by mere coincidence‛) führt uns marc mer in ein feld der schwelle ‚auf dem weg zum bordellʻ [‚derrière robbe-grillet à travers une rue très passante en route pour la maison de passeʻ]. zwischen duchamp, zwischen fernsehen, zwischen printmedien, sex und philosophie führt uns marc mer auf und über eine paradoxe oberfläche, die eigentlich als grenze zu verstehen sein könnte: über steinen zerbrochenes glas, holz, ein schachbrettmuster bildend, von einer spiegelfolie unterlegt, die in ungehöriger weise beim durchqueren dieses feldes unsere (bedeckten, kodierten?) geschlechtsmerkmale reflektiert (vergleiche auch ‚scene/obsceneʻ): eine zone der verdichtung des zufalls als unfall? oder zeugt das zerbrochene glas von unserem gnadenlosen begehren nach wirklichkeit(en) – einem »wirklichen« anderen, von dem wir vermuten, es könnte irgendwie unser eigentliches selbst entbergen?“
reinhard braun

 

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